Prototyp eines digitalen Gewächshauses
Autoren: Alexander Gerfer und Adithya Madanahalli, Würth Elektronik eiSos
Vertical Farming ist ein vielversprechender Ansatz, um mit geringem Wasser- und Flächeneinsatz zur Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung beizutragen. Mit einem IoT-vernetzten Prototyp wird die Technik demonstriert, mit der Beleuchtung, Bewässerung, Düngung und Klimatisierung für höchste Erträge und beste Qualität optimiert werden.
Eine prognostizierte Weltbevölkerung von fast 10 Milliarden Menschen wird laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) bis 2050 eine Steigerung der weltweiten landwirtschaftlichen Produktion um 50 Prozent erfordern. Die landwirtschaftliche Nutzfläche ist in den letzten Jahrzehnten jedoch sogar zurückgegangen, von fast 40 % der weltweiten Landfläche im Jahr 1991 auf nur 37 % im Jahr 2018 [1]. Um diesen Herausforderungen entgegenzuwirken, benötigen wir Lösungen. Ein Teil dieser Lösung kann „Controlled Environmental Agriculture“ sein (kurz CEA). Hierzu zählt auch das „Indoor Vertical Farming“. In sogenannten Vertikalen Farmen können frische, nahrhafte Nahrungsmittel lokal für Menschen, z.B. in Ballungsräumen angebaut werden. Diese Anbauform ist auch in Regionen möglich, in denen konventionelle Landwirtschaft nicht funktionieren würde. Sie unterstützt die traditionelle Landwirtschaft und ist kein Gegenspieler zu dieser.
Diese modernen mehrstöckigen digitalisierten Gewächshäuser können nur dann erfolgreich sein, wenn mehrere Schlüsseltechnologien wie Beleuchtung, Steuerung und Überwachung beherrscht werden.
Die offensichtlichsten Vorteile von Indoor Vertical Farming sind der geringe Platzbedarf, die Reduktion des Frischwassereinsatzes von bis zu 95% und eine Energieeinsparung von bis zu 70%, falls energiesparende LED-Technik eingesetzt wird. Würth Elektronik bietet ein breites Spektrum von sogenannten Horticulture LED an [2], deren Farbspektrum optimal auf die Pflanzenbedürfnisse abgestimmt ist. Hier betreibt Würth Elektronik auch eigene Forschung, um entsprechende dynamische Lichtrezepte im Markt weiter zu etablieren [3].
Ein Musterkit mit Horticulture LED und Funkanbindung existiert, um optimale Lichtbedingungen zu schaffen und mit einer intelligenten Lichtsteuerung und optimierten Stromversorgung, den Energieverbrauch gering zu [4, 5] halten. Mehr zum Thema Horticulture LED und deren Applikation findet sich auch unter [6 bis 11].
Neben optimalen Lichtbedingungen sind weitere Umweltfaktoren für das Pflanzenwachstum wichtig. Dazu zählen z.B. die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit oder auch die Bodenfeuchte. Auch diese Parameter müssen überwacht, gesteuert und dynamisch optimiert werden.
Internet der Dinge zur Automatisierung der Landwirtschaft
Komplexe Automatisierungen wie die Smart Factory der Industrie 4.0, Smart Buildings oder eben auch neue landwirtschaftliche Konzepte verlangen die Vernetzung von Sensoren und Geräten in einem Internet der Dinge (IoT). Im Folgenden wird erläutert, wie sich der Einsatz von Horticulture-LEDs sowie eine Implementierung der Fernüberwachung und -steuerung für das Pflanzenwachstum in Vertical Farms mithilfe von Rapid-Prototyping-Tools schnell und kostengünstig realisieren lässt. Bild 1 zeigt den Prototyp einer Indoor-Farming-Box. Dabei sind alle entscheidenden Komponenten der Prototyping-Lösung aus einer Hand erhältlich, von Würth Elektronik.
Die Kernaufgabe jeder IoT-Lösung besteht darin, Daten aus dem Feld in die Cloud zu übertragen, wo deren Analyse den gewünschten Mehrwert für die Anwendung generiert. Für die Realisierung einer solchen Anwendung wurde ein Open-Source-Hardware- und -Software-Ökosystem genutzt und eine komplette IoT-Lösung geschaffen. Würth Elektronik hat dazu das M0-Express-Feather-Board von Adafruit mit eigenen FeatherWings, also Entwicklungsboards im Feather-Formfaktor mit Sensoren, Funk- und Power-Modulen, LEDs und LED-Treibern sowie diversen anderen Sensoren und Komponenten kombiniert (Bild 2). Die Grundidee dabei: ein digitales Anbausystem zu schaffen, das einerseits das Wachstum, andererseits den Strom- und Wasserverbrauch optimiert.
Gesteuerte Bewässerung und Beleuchtung
Der Prototyp besteht aus einer Vertical-Farming-Konstruktion auf Basis von Erdsubstrat mit einem 4-Kanal-LED-Treiber und einem Horticulture-LED-Design-Kit, mit dem sich auf einfache Weise die erforderlichen Lichtspektren für verschiedene Beleuchtungssituationen mischen lassen, um das Wachstum der Pflanzen zu fördern. Die Tröpfchenbewässerung und der Wassertank verwenden recyceltes Wasser, dessen pH- und EC-Werte (Salzgehalt) gemessen, gesteuert und über verschiedene Kommunikationsmodule von Würth Elektronik in die Cloud übertragen werden. Ein Bodenfeuchtesensor überwacht die Bodenfeuchtigkeit und bei Bedarf führt eine kleine Pumpe Wasser dem System zu. Der Rest des Wassers wird aufgefangen, gefiltert und gelangt in den Tank zurück. Das Herzstück des Systems ist Adafruits Feather-M0-Express-Board mit dem Power-Relais. FeatherWings werden als Schalter verwendet. Die Daten werden an die Cloud gesendet, wo die Informationen verarbeitet, analysiert und zur Steuerung der Farm verwendet werden.
Beleuchtungssystem
Das Beleuchtungssystem (Bild 3) besteht aus einem Horticulture-LED-Panel mit vier separaten Kanälen mit speziellen einfarbigen Horticulture-LEDs und dem MagI³C-Multi-Color-LED-Treiber. Beide gehören zum Lighting Development Kit von Würth Elektronik [2]. Mit dem LED-Treiber mit Step-Down Power Module aus der MagI³C-Baureihe ist es möglich, die Intensität und Farbe jedes der vier LED-Stränge individuell einzustellen, um den Anwendungsanforderungen gerecht zu werden und die Lichtrezepte auf das Pflanzenprofil anzupassen. Das Horticulture-Panel besteht aus sechs hyperroten (660 nm), vier fernroten (730 nm), zwei tiefblauen (450 nm) und vier weißen Keramik-LEDs. Das System kann über Bluetooth, WLAN oder Mobilfunkverbindung angesteuert werden.
Bewässerung
Der Füllstand des Wassertanks wird mit dem Differenzdrucksensor WSEN-PDUS gemessen. Dabei handelt es sich um einen sehr genauen piezoresistiven Sensor auf MEMS-Basis (Bild 4). Zusätzlich drückt eine 12-V-Pumpe das nährstoffreiche Wasser über einen Durchflusssensor in das Tropfbehältnis. Die Wasserqualität wird mit den pH- und EC-Messgeräten DFR-05874 beziehungsweise DFR-0300 aus der Gravity-Reihe von DFRobot überwacht. Die meisten natürlichen Gewässer weisen einen pH-Wert zwischen 5 und 8 auf. Der allgemein akzeptierte pH-Wert für Bewässerungswasser liegt zwischen 5,5 und 7,5, aber die besten Ergebnisse wurden mit pH-Werten zwischen 5,5 und 7 erzielt. Wasser in diesem pH-Bereich hält das Nährstoffgleichgewicht aufrecht, bietet eine wirksame chemische Desinfektion und verhindert Kalkablagerungen in Bewässerungsanlagen [12]. „Fertigation“ ist ein Kofferwort aus den Begriffen Düngung (Fertilization) und Bewässerung (Irrigation).
Aufgrund der geringen Substratoberfläche erfordert der Anbau in Substrate eine gute Bewässerung und viel Dünger, der dem Bewässerungswasser zugesetzt wird. Mit einem EC-Messgerät wird eine Unter- oder Überversorgung mit Düngemitteln im Bewässerungswasser festgestellt. Die elektrische Leitfähigkeit (EC) ist ein Maß für die Konzentration von Ionen im Wasser und dient der Messung der Fähigkeit des Wassers, elektrischen Strom zu leiten. Je reiner das Wasser, desto geringer ist die Leitfähigkeit. Für die Messung der Bodenfeuchtigkeit wurde der kapazitive STEMMA-Bodensensor von Adafruit verwendet. Bei kapazitiven Messungen kommt nur eine Sonde zum Einsatz, es gibt kein freiliegendes Metall, das oxidieren kann, und es werden keine Gleichströme in Pflanzen eingeleitet. Die Steuerung der Pumpe findet automatisch und direkt über die Cloud statt. Ihre Betriebszeit wird auf der Grundlage der Anzahl der Pflanzen, der erforderlichen Bodenfeuchtigkeit und des Pumpendurchsatzes berechnet (Bild 5).
Erfassung der Umweltdaten
Kohlendioxid ist in Anreicherungs- und Extraktionsprozessen in großem Umfang erforderlich. Diese Prozesse beschleunigen das Wachstum von Pflanzen und CO₂ dient als Begasungsmittel. Bei der Anreicherung wird in der Regel ein CO₂-Gehalt von 800 bis 1500 ppm eingestellt, um das Wachstum um 20 bis 30 % zu beschleunigen. Die Erhöhung des Gesamtstoffwechsels hilft den Pflanzen, den Auswirkungen von Hitze zu widerstehen. Größere, gesündere und robustere Pflanzen vertragen extreme Umwelteinflüsse besser. Ein erhöhter Pflanzenstoffwechsel bedeutet jedoch zusätzliche Anforderungen. Die Pflanzen benötigen nicht nur mehr Wasser und Nährstoffe, sondern auch eine zusätzliche Belüftung. Der CO₂-Gehalt des Systems wurde mit dem Luftqualitätssensor SPG30 von Adafruit, der an den FeatherWing-Sensor von Würth Elektronik angeschlossen ist, gemessen und online überwacht. Es ist zu beachten, dass der Sensor den äquivalenten CO₂-Gehalt misst. Dieser eCO₂-Wert wird auf Basis der H2-Konzentration berechnet, es handelt sich also nicht um einen „echten“ CO₂-Sensor für den Laborgebrauch. In jedem Wachstumsstadium benötigt eine Pflanze andere Licht- und Wärmebedingungen. Die meisten Pflanzen tolerieren normale Temperaturschwankungen, und die optimalen thermischen Bedingungen für das Pflanzenwachstum können nicht nur zwischen den einzelnen Phasen, sondern auch im Laufe des Tages variieren. Die Optimierung kann durch Messung der Temperatur und Optimierung der Tageszyklen erfolgen. Wenn das Licht ausgeschaltet ist, sollte die Temperatur um einige Grad niedriger sein. Die Luftfeuchte wird als relative Luftfeuchtigkeit angegeben. Verschiedene Pflanzenstadien benötigen unterschiedliche Feuchtigkeitsniveaus. Eine zu feuchte Umgebung kann das Potenzial für die Ausbreitung von Krankheiten erhöhen. Sowohl die Luftfeuchtigkeit als auch die Temperatur werden mit dem WE-Sensor FeatherWing überwacht.
Kommunikationsoptionen
Sensoren und Aktoren sind in der Regel in Geräten installiert, die nur begrenzt mit der digitalen Welt verbunden sind. Heutzutage gibt es eine Vielzahl von standardisierten und proprietären drahtlosen Lösungen, deren Auswahl von einer Reihe von Faktoren wie Reichweite, Durchsatz, Frequenzband, lokale gesetzliche Anforderungen und Energiebudget bestimmt wird. Die Kommunikation des Prototyps wird über zwei verschiedene Ansätze realisiert, zum einen mit einem WLAN-FeatherWing Calypso (Bild 6) für Umgebungen, in denen ein WLAN verfügbar ist, zum anderen mit einem Adrastea-I-FeatherWing (Bild 7) für Umgebungen ohne WLAN. Beide Boards sind mit dem Rest des Systems über das M0-Express-Feather-Board von Adafruit verbunden. Das Calypso-Board ist ein kompaktes WLAN-Funkmodul, das auf dem WiFi-Standard IEEE 802.11 b/g/n (2,4 GHz) basiert. Es verfügt über einen integrierten TCP/IP-Stack und ein sofort einsatzbereites MQTT-Protokoll. Das Adrastea-I-Modul ist ein kompaktes LTE-M/NB-IoT-Mobilfunkmodul mit integriertem GNSS und einem ARM-Cortex-M4-Prozessor, das für jede IoT-Anwendung geeignet ist. Beide Module eigenen sich für eine einfache und sichere Verbindung zur Cloud. In diesem Fall fiel die Wahl auf einen externen M0-Prozessor und wegen seiner Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit auf Microsoft IoT Central, einer Platform as a Service. IoT Central verfügt über eine gebrauchsfertige Benutzeroberfläche und eine API für Verbindung, Verwaltung und Betrieb von IoT-Geräten. Mit seiner Telemetrie, seinen Eigenschaften und Befehlen wurde es zur Überwachung und Steuerung aller Aspekte des vertikalen Anbausystems verwendet.
Der Prototyp zeigt im kleinen, wie Vertical Farming funktioniert und ist in sich schon eine Anwendung. In der Kantine von Würth Elektronik produziert ein ähnlicher Schrank frische Kräuter. Die elektronischen Komponenten des Prototypen von der Steuerung per Mikrocontroller, der Kommunikation mit der Cloud bis hin zur Stromversorgung und den LEDs kommen alle von Würth Elektronik und damit aus einer Hand.
Referenzen
[1] The future of food and agriculture: Trends and challenges, ein Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, 2017: https://www.fao.org/3/a-i6583e.pdf (Stand: 24. März 2018).
[2] Würth Elektronik Horticulture-LEDs: https://www.we-online.com/en/components/products/led/leds/horticulture_leds
[3] Gerfer, A.: The future of food production! Würth Elektronik as enabler in the field of vertical farming. Video: https://www.youtube.com/watch?v=U_OoyHLR7lQ
[4] Blakey, R.: Advantages of LED Lighting in Horticultural Applications. AppNote ANO003: https://www.we-online.com/components/media/o128284v410%20ANO003a%20EN.pdf
[5] Würth Elektronik Lighting Development Kit: https://www.we-online.com/en/components/products/LIGHTING_DEVELOPMENT_KIT
[6] Great Scott: "Magical" LEDs let my plants grow faster? (Experiment) The Future of Farming! Video: https://www.youtube.com/watch?v=4FryMPpJG6I
[7] Fisch, I.: Anders ackern, Süddeutsche Zeitung online, 29.07.2022, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/landwirtschaft-transformation-innovation-vertical-farming-smart-farming-indoor-farming-ukrainekrieg-lebensmittel-wirtschaftsgipfel-salon-1.5630332
[8] Waldherr, J.: Horticulture-LEDs verbessern das Pflanzenwachstum. Elektronikpraxis online, 27.09.2022, https://www.elektronikpraxis.de/horticulture-leds-verbessern-das-pflanzenwachstum-a-5e046d8b29a99bb1bf6a50234bdabcd7/
[9] Koller, P.: Was ein Erdbeerpflücker auf der DLD-Konferenz zu suchen hat. All-electronics.de, 19.01.2023,https://www.all-electronics.de/automatisierung/warum-beim-automatisierten-erdbeerpfluecken-das-licht-eine-hauptrolle-spielt-186.html
[10] Blakey, R.: LEDs – The Future of Horticultural Lighting. AppNote ANO002: https://www.we-online.com/components/media/o120602v410%20AppNote_ANO002_TheFutureHorticultureLightning_EN.pdf
[11] Gerfer, A.; Waldherr, J.; Özgür, H.: Lighting Control for Food Production. LED Professional May/June 2023, issue 97, p. 28, https://www.led-professional.com/downloads/lpr97_full_11819.pdf
[12] Brunton, V.: Irrigation water quality. https://www.dpi.nsw.gov.au/__data/assets/pdf_file/0005/433643/Irrigation-water-quality.pdf (Stand: 31. Januar, 2023)